Samstag, 5. Oktober 2019

In Musen wandele und Maden (orphische Sonette)

 

                                    In Musen wandele und Maden

                                               (orphische Sonette)

                

 

                 1.  Eurydikes Dreiklang


Hinab! Die Leier fiel ins Reich der Schatten.
Nur aus der Tiefe kann er sie noch hören.
Die Nymphe, um den Hades zu betören,
sinkt in die Unterwelt für ihren Gatten.

Mit nackten Füßen, die nie Strümpfe hatten,
streift sie durch Sümpfe, huscht durch dichte Föhren.
Schon hört sie aus den Schlünden wildes Röhren,
Gebrüll vom Höllenhund, dem nimmersatten.

Erbebend naht sie sich dem Ungeheuer.
Und seine Zähne mahlen Orpheus‘ Leier,
und, ach, sein zweiter Rachen fauchet Feuer.

Der dritte lispelt: „Lüfte deinen Schleier!
Gib mir, oh süße Nymphe, einen Kuss!“
Drei Küsse und – Musik wird Zerberus.


 

                2.  Bardisches Lament


Hab ich wie Herkules nicht hart gerungen
mit zarten Reimen und mit Assonanzen?
Hieb ich die Hydra nicht entzwei mit Lanzen,
riss nicht aus Schlangenhäuptern ihre Zungen,

die lüstern sangen und – eh sie verklungen 
verflocht ich ihr Geflüster nicht zu Stanzen
und formte mein Geflecht zum runden Ganzen?
Hab ich‘s galant wie Orpheus nicht besungen?

Doch ach, wer lauscht noch lyrischen Gesängen?
Die Nymphe schwand; – mit adlerscharfen Fängen
belauern mich, den Leiermann, Mänaden!

Und bald, ach bald, so raunt es die Sibylle ,
erklingt statt Liedern aus der Stille
nur noch das Zirpen der Zikaden.



              3.  Orpheus vollendet


Dich, Muse, suche ich auf meinen Pfaden
und wandele wie Orpheus mit Figuren
von Nymphen und gar neckischer Lemuren;
die führen mich zu lieblichen Gestaden.

Doch wehe! Statt der reizenden Najaden
erwarten mich am Ufer Kreaturen
mit Kröpfen und bacchantischen Konturen
dämonischer Geschöpfe, ach – Mänaden!

Ein Sprung in das immense Meer: – „Ulysses,
sei du hinfort mein listiger Begleiter!“
Dies liebliche Sonett? Sing ich es weiter?

Das sprang in den Mänadenschlund. – „So friss es!“
  Die Muse weint. Ich habe sie verschwendet.
  Doch Orpheus hat sein Lied bereits vollendet.



                   4.   Musenschwärmerei
                 
con passione

Mit ihr allein schwärmt' ich auf meinen Pfaden;
denn sie und ich, wir wandeln Arm in Arm.
Verwandelt jagt die Muse mich als Schwarm
süchtiger Fliegen. Wehe! – Ihre Maden

durchkriechen mein Gedicht und sie besaugen
den Vers in seinem Mark. Die Brut will schlüpfen.
Schon spür ich, wie sie krabbeln. Und sie hüpfen
als Fliegen mir aus Nase, Mund und Augen.

Bekleckert jetzt..., beleckt mir diese Zeilen,
die ich in weicher Stimme rezitiere,
und klebt und saugt am süßen Reim bisweilen,
dass meine spitze Feder euch fixiere.

Oh lausch! – Schwebt nicht, so licht, so bunt,
ein Musenschwarm aus meinem Mund?

  

                                                                               Rolf-Peter Wille

                                                                                    (2023) 












Vorgänger Version von "Bardisches Lament":

 



                  Stummes Lament
           eines heiteren Dichters



Hab ich, ein Herkules, nicht hart gerungen
mit Vers und Reimen? Ei, jawohl! Ich habe.
Jetzt scheint mir gar  ein Bein bereits im Grabe 
da hätt ich stumme Liedchen mir gesungen.

Der Hydra hab ich Häupter abgesäbelt,
gar manchen Hühnerstall befreit vom Mist,
verdreht, wie diesen hier, den Satz mit List
und seinen Bau, ein Hüne, ausgehebelt.

Geblieben ist ein tauber Nachgeschmack,
das stumme Echo nie erlauschter Stanzen.
Zieh ich noch stummere aus meinem Ranzen,
Kaninchenleichen für den Selbstverlag?

Verblühter Barde bleibe heiter
und dichte hübsch im Grabe weiter!





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