In Musen wandele und Maden
(orphische Sonette)
1. Eurydikes Dreiklang
Hinab! Die Leier fiel ins Reich der Schatten.Nur aus der Tiefe kann er sie noch hören.Die Nymphe, um den Hades zu betören,sinkt in die Unterwelt für ihren Gatten.Mit nackten Füßen, die nie Strümpfe hatten,streift sie durch Sümpfe, huscht durch dichte Föhren.Schon hört sie aus den Schlünden wildes Röhren,Gebrüll vom Höllenhund, dem nimmersatten.Erbebend naht sie sich dem Ungeheuer.Und seine Zähne mahlen Orpheus‘ Leier,und, ach, sein zweiter Rachen fauchet Feuer.Der dritte lispelt: „Lüfte deinen Schleier!Gib mir, oh süße Nymphe, einen Kuss!“Drei Küsse und – Musik wird Zerberus.
2. Bardisches LamentHab ich wie Herkules nicht hart gerungenmit zarten Reimen und mit Assonanzen?Hieb ich die Hydra nicht entzwei mit Lanzen,riss nicht aus Schlangenhäuptern ihre Zungen,die lüstern sangen und – eh sie verklungen –verflocht ich ihr Geflüster nicht zu Stanzenund formte mein Geflecht zum runden Ganzen?Hab ich‘s galant wie Orpheus nicht besungen?Doch ach, wer lauscht noch lyrischen Gesängen?Die Nymphe schwand; – mit adlerscharfen Fängenbelauern mich, den Leiermann, Mänaden!Und bald, ach bald, so raunt es die Sibylle ,erklingt statt Liedern aus der Stillenur noch das Zirpen der Zikaden.
3. Orpheus vollendetDich, Muse, suche ich auf meinen Pfadenund wandele wie Orpheus mit Figurenvon Nymphen und gar neckischer Lemuren;die führen mich zu lieblichen Gestaden.Doch wehe! Statt der reizenden Najadenerwarten mich am Ufer Kreaturenmit Kröpfen und bacchantischen Konturendämonischer Geschöpfe, ach – Mänaden!Ein Sprung in das immense Meer: – „Ulysses,sei du hinfort mein listiger Begleiter!“Dies liebliche Sonett? Sing ich es weiter?Das sprang in den Mänadenschlund. – „So friss es!“Die Muse weint. Ich habe sie verschwendet.Doch Orpheus hat sein Lied bereits vollendet.
4. Musenschwärmereicon passioneMit ihr allein schwärmt' ich auf meinen Pfaden;denn sie und ich, wir wandeln Arm in Arm.Verwandelt jagt die Muse mich als Schwarmsüchtiger Fliegen. Wehe! – Ihre Madendurchkriechen mein Gedicht und sie besaugenden Vers in seinem Mark. Die Brut will schlüpfen.Schon spür ich, wie sie krabbeln. Und sie hüpfenals Fliegen mir aus Nase, Mund und Augen.„Bekleckert jetzt..., beleckt mir diese Zeilen,die ich in weicher Stimme rezitiere,und klebt und saugt am süßen Reim bisweilen,dass meine spitze Feder euch fixiere.“Oh lausch! – Schwebt nicht, so licht, so bunt,ein Musenschwarm aus meinem Mund?
Rolf-Peter Wille
(2023)
Vorgänger Version von "Bardisches Lament":
Stummes Lamenteines heiteren Dichters
Hab ich, ein Herkules, nicht hart gerungenmit Vers und Reimen? Ei, jawohl! Ich habe.Jetzt scheint mir gar – ein Bein bereits im Grabe –da hätt ich stumme Liedchen mir gesungen.Der Hydra hab ich Häupter abgesäbelt,gar manchen Hühnerstall befreit vom Mist,verdreht, wie diesen hier, den Satz mit Listund seinen Bau, ein Hüne, ausgehebelt.Geblieben ist ein tauber Nachgeschmack,
das stumme Echo nie erlauschter Stanzen.Zieh ich noch stummere aus meinem Ranzen,Kaninchenleichen für den Selbstverlag?Verblühter Barde bleibe heiterund dichte hübsch im Grabe weiter!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen