Freitag, 27. September 2019

Der Wanderer und das Irrlicht





    Der Wanderer und das Irrlicht
   
    (nach einer Fabel von August Gottlieb Meißner)


Verirrt des Nachts in finstrem Tann
sieht der Verwirrte in der Ferne
den Silberschein. “S’ist die Taverne!”
ruft froh der müde Wandersmann.

Es schimmert ihm gar wunderzart.
Er eilt zum Licht. Jedoch mit Schrecken
bleibt er im tiefen Sumpfe stecken:
Es hat ein Irrlicht ihn genarrt.

Da grollt der Mann: “Du falscher Schein,
was foppst du Schalk die Wandersleut?”
“Was schmollest?” fragt das Lichtelein.
“Darf ich nicht leuchten, wie’s mich freut?

Wer hieß dich folgen, arger Wicht?
Gefoppt hat dich dein Augenlicht!”


                                        Rolf-Peter Wille
                                                 (2012)


Arnold Boecklin: Das Irrlicht, 1882 




















frühere Version:



Verirrt des nachts in einem finstren Tann,
sieht der verwirrte Pilger in der Ferne
den silberhellen Schein. “S’ist die Taverne!”,
denkt hoffnungsfroh der müde Wandersmann.

Wie schimmert’s durch die Dunkelheit gar zart!
Der Wandrer eilt zum Licht. Jedoch mit Schrecken
sackt er in tiefen Sumpf. So bleibt er stecken
und spüret, dass ein Irrlicht ihn genarrt.

Da zürnt der Pilgersmann dem eitlen Schein:
“Was täuschst du, Irrlicht, arme Wandersleut
und lockst sie in den Schlamm, du falscher Wicht?”

“Wer hieß dich folgen?” fragt das Lichtelein.
“Darf ich nicht leuchten, wie es mich erfreut?
Getäuscht bist du vom eignen Augenlicht.”



Sequel:

Durch Dschungeldickicht kreuz und quer
irrlichtelier' ich hin und her
und meine samtig feuchte Seele
klebt schlapp schon in der trock'nen Kehle.
Kein Gläserklirren gibt's, kein Bierchen.
Doch mich umschwirren kleine Tierchen.
Vampir'sche Mücken saugen gerne
den Saft. Ich selbst bin die Taverne!







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