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Mittwoch, 9. Oktober 2019

Auf Schlangenpfaden





              Auf Schlangenpfaden


Wer weiß, wohin mich meine Füße tragen
durch finstres Dickicht, ach, auf Schlangenpfaden?
Ein Stich! Schon beißt der Wurm in meine Waden!
Ein Egel gar? Ein Floh! Wer mag es sagen?

Vergiss nun deine Sorgen, lass das Klagen!
Die Sonne bricht hervor aus Nebelschwaden.
Durch Auen wandre ich ins Tal; es laden
mich Burgen, die aus blauer Ferne ragen.

Umrieselt leis vom Bach, umsummt von Bienen,
so soll ich sanft in Wonnehainen ruhen.
Willkommen, o ihr Schlösser ach, Ruinen!

Schon weicht die Sonne dem Gewitterregen.
Bald werd ich schlittern, ach, auf Schneckenwegen,
und spitzig knirscht es unter meinen Schuhen.



                                                       Rolf-PeterWille
                                                              (2019)


Caspar David Friedrich:
Felsenlandschaft im Elbsandsteingebirge, 1822 



Dienstag, 8. Oktober 2019

Die Bambushütte (Sonette aus dem Dickicht)

                   

                      Die Bambushütte

                (Sonette aus dem Dickicht)



                      1. Das ferne Schloss

Gebaut aus Sprache, die im Mauerwerk
verkeilter Wörter mörtellos geschichtet,
ragt seine Rede wuchtig aufgerichtet
wie alter Götter Burg auf rauhem Berg.

Es hat – sagt man – ein kalter, grauer Zwerg
sich tief in jenes Schloss hineingedichtet.
Jetzt liegt's in Wolken, nimmermehr gesichtet.
Werd ich es wiedersehn, das Zauberwerk?

Längst bin ich schon in fremdes Land gezogen
und züchte mir aus Lotos Ziersonette.
Soll ich von Schlössern, fernen Göttern singen?

Im Dickicht will mir Besseres gelingen!
Gar weich ist hier der Jambenvers gebogen
und wispert sich um meine Bambushütte.




                       2. Die Jambennatter

Was wispert aus dem Dickicht mir der Jambus,
dem ich nur lauschen darf, indem ich dichte
und seinen Reim verspinne und Gesichte
von ferner Geisterburg zu feinem Bambus?

Wo steckt der Wicht, der meinen Schlaf zerflüstert,
der meinen Sinn beleckt bei lichtem Tage?
Hinein, ins Dickicht, dass ich ihn erjage!
Schon hör ich, wie er im Gehölze knistert.

Schon schimmert's grünlich aus den Bambusschlingen.
Es säuselt süß. Es glitzert mir ein Licht.
Jetzt hab ich dich! Jetzt soll es mir gelingen!

Nichts! – warum lockte mich ihr Singen?
Die Jambennatter neckt mich Wicht.
Sie trägt mein eigenes Gesicht.




                 3. Taifun im Bambuswald

Schau, wie im Sturm die feisten Stauden schwanken 
und knetern wie die Planken fauler Schiffe,
die, wenn sie scheitern am Gestein der Riffe,
sich im Zerreiben zeternd noch zerzanken!

Hör, wie im Schauerwald die Stäbe knattern,
wenn der gewaltige Orkan sie schindet,
der sich, ein Dämon, durch das Dickicht windet
und scheuchet Menschen, Würmer, giftge Nattern.

Wohin will meine flinke Hütte fliegen?
Schon flattert sie als Fledermaus durchs Land.
Kein Wirbelwind kann ihren Spuk besiegen!

Und ich als Parasit, leicht und galant,
ich fliege mit, als würde ich nichts wiegen,
ein blinder Passagier – doch nicht verschwiegen.




                   4. Verwüstung


Wie soll ich die Verwüstung schildern?
Morast, Gerippe und Gerölle,
vom Sturm gespieen wie Gewölle!
Mal' ich den Graus in grellen Bildern?

Wie grässlich, in den Matsch zu fallen!
Wo sich nur Gräuel offenbart,
zeugt Chaos, zart mit Kitsch gepaart,
Chimären, die in Zungen lallen.

Erlaube, dass ich leiser singe,
wie Schatten nur; ich will ihn schonen,
dass mein Gesang wie Nichts erklinge.

So wird mein Singen mich belohnen,
entsterbend diesem Reich der Dinge,
um stummer im Sonett zu wohnen.


                                                 Rolf-Peter Wille
                                                        (2020)





“Chimären”: hier chinesische Grabhüter (鎮墓獸)







Montag, 7. Oktober 2019

Dereinst im kahlen Harz


 


Dereinst im kahlen Harz

 

Noch wandre ich auf lichten Maienpfaden,
auf Moos dahin und durch die Heidelbeeren.
Schau nicht hinauf! Bestarre nicht die leeren,
verzehrten Fichtenwipfel, die maladen!

Nein, singe nicht vom siechen Wald Balladen!
Schließ deine Äugelein und lausch dem hehren
Gesang der Vögelein. Ja, sie verehren
noch immer…, was? Ich sehe nur Fassaden.

Verdammt sind ihre lieblichen Gesänge,
die Blümlein alle und der liebe Mai.
Verdammt sei meiner Wege Melodie!

Dereinst erschallen wieder Vogelklänge
und wilde Wälder wachsen frei.
Dereinst… — in meinem Leben nie. 


                                                                        Rolf-Peter Wille

                                                                               (2022)



Toter Wald im Harz

 

         

                          



 

Sonntag, 6. Oktober 2019

Eisbachwelle

 


                       Eisbachwelle


Reißend Wasser soll die Welle nähren:
Federnd spannt sie sich empor; und wendig
schnellen Surfer über sie, die ständig
spielend sich aus Sterben neu gebären.

Feurig springt der erste. Ob’s ihm glücke,
kalte Macht zu zwingen? Doch der Drache
ringt ihn rasend in die Flut. Ich lache;
und wir alle starren von der Brücke.

Schau, schon tanzt der zweite! Der kann fliegen;
leicht schwebt er dahin – geschmeidig; munter
spielt er mit der Welle. Wer wird siegen?

Hei…, da reißt der Eisbach ihn hinunter.
   Wilder spritzt die kalte Gischt des Drachen.
   Auf der Brücke zittern wir und lachen.


                                                                          Rolf-Peter Wille

                                                                                (2023) 
























Frühling im Neanderthal






       Frühling im Neanderthal

        Lobet den Herrn, Ihr Fossilien!


Unruhig kauert ihr in dem sibir'schen
Winter, eingekeilt in ew'gen Frost,
tief unter Knochen aus gefrorner Kost
von Bison, Auerochs und Rentierhirschen.

Zerschmelze nun, du eisige Idylle.
Vorsichtig öffnet sich die Kühlschranktür
und leise mit untrüglichem Gespür
entlockt dem Froste euch der Forscherwille.

Vorbei die Eiszeit im Neanderthal!
Erwacht, ihr Mammute, ihr Höhlenbären,
und lobet Ihn, den Herrn, der euch erweckt!

Erlöset seid ihr von des Winters Qual.
Rasch aufgetaut! Der Herr will euch verzehren.
Nähret die Flammengeister und verreckt!

                                                      
                                               Rolf-Peter Wille
                                                        (2009)


  

Höhlenmalerei


Der Frühling zwitschert sich durch das Gedränge



Der Frühling zwitschert sich durch das Gedränge

Wie lustig ist’s, im Freien zu spazieren!
Der Frühling zwitschert sich durch die Alleen;
verzückt darf ich in grünem Kleide gehen,
wo sich im Grünen Freunde amüsieren.
Wie lästig, bei der Ampel zu verschmachten!
Matronen zwängen sich durch das Gedränge;
erstickt soll ich verrotten in der Enge,
wo sich Rivalen stolz bei Rot verachten.
Doch wart – wer zwingt mich eigentlich zum Stehen?
Seit wann bin ich nicht Ich, mein eigner Herr?
Gehorcht ein Mann der Zeit und ihren Dieben,
dann kann er warten, kann er Däumchen drehen.
Drum auf! Befrei dich stracks aus dem Gezerr!
Schreit jemand Stopp? Schreit jemand Stehngeblieben?

                                                            Rolf-Peter Wille
                                                                    (2009)
      

Ernst Ludwig Kirchner: Straßenszene, 1925


Anmerkung: aus meinem Rhetorikum Grüne Figur bei Rot. Mein Sonett ist eine Variation des Satzes "Ich trug ein grünes Hemd und ging bei Rot über die Straße".
                                                                     







Gipfel der Erkenntnis




          
               Gipfel der Erkenntnis 


Die Stille und die Einsamkeit zu finden,
erklomm ich schwacher Wille einen Berg,
um mich als Ameise, als winzger Zwerg,
mühsam auf seinen Gipfelpunkt zu winden.

Verdammt! Was nützt es mir, mich abzuschinden?
Hier oben harrt bereits ein altes Weib
und starrt mich an; nur so zum Zeitvertreib.
Avanti, altes Weib! Sollst rasch verschwinden.

Da lächelt sie und lispelt leis "nanu?"
Wie? Meine alte Schülerin? So lieb!
Allein in lichter Höh? "Oh Lisa, Du?"

Dies ist Magie! Hat Alter kein Gewicht?
Die Fünfzig flüchtete. Mein Auge schrieb
ihr eine zarte Zwanzig ins Gesicht.


                                         Rolf-PeterWille
                                                (2019)


                           

Paul Klee: Der Niesen - Ad Parnassum, 1932












Samstag, 5. Oktober 2019

Haus der Nachttiere

 



                 Haus der Nachttiere 


Welch schwarzes Nocturama  nackte Hölle
erstarrten Felsgesteins! Aus seinen Ritzen
siehst du der Sünder arme Seelen flitzen
als weiße Mäuse durch die Kerkerzelle.

Und wie gebannt starrst du ins Finsterhelle,
in grause Nacht durchzuckt von grellen Blitzen.
Da schau, ein Mäuslein bleibt geblendet sitzen,
erstarrt! Dort klebt es zitternd auf der Stelle.

Und in der Höhe hocken starre Eulen
in Felsengrotten, Göttinnen der Rache,
wie griechische Skulpturen, Marmorsäulen.

Mit Argusaugen halten sie die Wache
in tiefer Stille Hölle ohne Heulen.
Am Fels gerinnt das Blut zu einer Lache.

 

                                                                    Rolf-Peter Wille 

                                                                             (2021)




 




 

Mittwoch, 2. Oktober 2019

Kulturgesang




                     Kulturgesang


Vergiss die Diamanten! Doch dein Garten...,
den Garten kultiviere! sagt Voltaire.
Und sei dein Gärtner auch du selbst! so er;
begieße deine Blümchen, all die zarten!

Die meinen? Freilich, sie begießt der Himmel
und putzt den Garten mir mit Wind und Wetter.
Die Früchte werden runder stets, und fetter,
und frisst sie keiner, ja, dann tut's der Schimmel.

Was soll ich meinen Garten denn verzieren?
Ich fresse nichts! Doch will ich fleißig spinnen,
hängt auch der Magen lasch und meine Hände.

Es wächst ein lustig Lied in meinen Sinnen
von einem Garten und von seinem Ende,
und mein Gesang vom Schimmel Kultivieren.


                                                Rolf-Peter Wille
                                                       (2019)
                                  
          

                Jean Antoine Houdon: Voltaire, 1778 










Dienstag, 1. Oktober 2019

Limetten

                     

                                                     Limetten

 

Sonaten spiel ich nie – ich sing Sonette.
Limetten pflanzte ich statt der Tomaten.
Ich hoffe doch, sie keimen, meine Saaten,
dass ich was Feines für den Winter hätte.

Reime geduldig, kultivier die Stätte:
Es wächst sogleich dir ein Zitronengarten!
Lass deine Leser, die Matronen, warten
auf edlere Limonen, nicht kokette!

Hurrah! Schon strahlen sie in grünem Glanze,
die wohl gereimten Früchte meiner Ernte.
Ein Schlückchen – prost! – vom Wein der Pomeranze?

Was krabbelt dort in wunderlichem Tanze?
Aus wildem Reim, den ich zu scheu entfernte,
entwindet sich das Wesen einer Wanze.


                                                                                                       Rolf-Peter Wille

                                                                                                             (2023) 

 



 

                   

Montag, 30. September 2019

Monsun




                          Monsun


Schwer ist der Morgen, schwül, ozongeladen.
Am Mittag schwitzt ein Brodem aus der Küche.
Fern donnert’s und es schwimmen Fischgerüche
unruhig hin vor den Betonfassaden.

Die Front zieht auf. Schon bläht sich schaurig träge
der Wolken Bauch. Der Horizont verengert.
Da platzt die Masse und monsungeschwängert
gebiert sie prasselnd ihre Niederschläge.

Am Abend reißt es auf und leichte Winde
durchstreichen katzengleich die Promenade.
Der Ozean beschwappt die Wolkenkratzer.

Es rülpst ein Radio, und seicht, gelinde
hüpft ein Gekichere durch die Arkade.
Umschlungenen entschlüpfen Liebesschmatzer.


                                                     Rolf-Peter Wille
                                                              (2012)

     
     

      Regenblick aus dem Küchenfenster, 2017







        



Sonntag, 29. September 2019

Stinkeliese

 


                         Stinkeliese
                             (für eb-bs)


Der Frühling kommt. Sie wollen sich betören
am Kot der Kühe – frisch geback'nen Fladen.
Es quirtscht, wenn sie darin die Füße baden,
der Dreck durch ihre Zehen. Freche Gören!

Die Liese steht daneben. Will die stören?
"Beweise deinen Mut, dir soll's nicht schaden:
Durchmatsche mit den Händen diesen Fladen!"
"Ich tu's", sagt Lieschen, "ja, das will ich schwören."

Sie gräbt sich in den Mist. Jetzt geht um's Leben!
Gern liefe sie mit Mädchen durch die Wiese
in wildem Spiel. Sonst hockt sie still daneben.

"Du Ferkel! ...Finger mit Spinat bekleben –",
so spottet eine Göre, eine fiese.
"Ich spiele nicht mit dir, du Stinkeliese!" 


                                                                          Rolf-Peter Wille

                                                                                                      (2021)