Montag, 30. September 2019

Sparagmos




                      Sparagmos



Zerrissen sind die Glieder, seine weißen.
Gerichtet hat man ihn. Jetzt richtet sie.
Was jetzt noch atmet, das vernichtet sie
und wen sie reißt, kann Gott ihr nicht entreißen.

Zum Strand zerrt sie die Kinder. Wie die brüllen!
Sie schleift sie übers Riff mit wilder Fratze.
Ist die noch Mutter? Diese Tigerkatze
ertränket ihre Kätzchen in den Wellen.

Ihr Jüngster ist zu klein. Der kann noch lachen.
Ein Krebslein zappelt in der Hand des Wichts:
"Ein Krebs! Ein Krebs! Der ist mein Schatz, der treue!"

Die Frau schreckt auf; sie zittert; ein Erwachen
zerreißt die zähe Fratze des Gesichts
und durch die Brandung gellen ihre Schreie.


                                                          Rolf-Peter Wille
                                                                 (2019)



 Pieter Bruegel: Detail aus Dulle Griet, 1563




Anmerkung: In Erinnerung an das 228 Massaker, Taiwan 1947. Die Anregung ist die wahre Geschichte einer Mutter, die sich nach der Hinrichtung (dem "Verschwinden") ihres Mannes mit ihren Kindern im Fluss [bei mir Meer] ertränken will. Als ihr kleiner Sohn einen Krebs findet und ihn mit nach Hause nehmen will, kommt sie zur Besinnung. Sie gibt den Plan auf.





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