Dienstag, 8. Oktober 2019

Die Bambushütte (Sonette aus dem Dickicht)

                   

                      Die Bambushütte

                (Sonette aus dem Dickicht)



                      1. Das ferne Schloss

Gebaut aus Sprache, die im Mauerwerk
verkeilter Wörter mörtellos geschichtet,
ragt seine Rede wuchtig aufgerichtet
wie alter Götter Burg auf rauhem Berg.

Es hat – sagt man – ein kalter, grauer Zwerg
sich tief in jenes Schloss hineingedichtet.
Jetzt liegt's in Wolken, nimmermehr gesichtet.
Werd ich es wiedersehn, das Zauberwerk?

Längst bin ich schon in fremdes Land gezogen
und züchte mir aus Lotos Ziersonette.
Soll ich von Schlössern, fernen Göttern singen?

Im Dickicht will mir Besseres gelingen!
Gar weich ist hier der Jambenvers gebogen
und wispert sich um meine Bambushütte.




                       2. Die Jambennatter

Was wispert aus dem Dickicht mir der Jambus,
dem ich nur lauschen darf, indem ich dichte
und seinen Reim verspinne und Gesichte
von ferner Geisterburg zu feinem Bambus?

Wo steckt der Wicht, der meinen Schlaf zerflüstert,
der meinen Sinn beleckt bei lichtem Tage?
Hinein, ins Dickicht, dass ich ihn erjage!
Schon hör ich, wie er im Gehölze knistert.

Schon schimmert's grünlich aus den Bambusschlingen.
Es säuselt süß. Es glitzert mir ein Licht.
Jetzt hab ich dich! Jetzt soll es mir gelingen!

Nichts! – warum lockte mich ihr Singen?
Die Jambennatter neckt mich Wicht.
Sie trägt mein eigenes Gesicht.




                 3. Taifun im Bambuswald

Schau, wie im Sturm die feisten Stauden schwanken 
und knetern wie die Planken fauler Schiffe,
die, wenn sie scheitern am Gestein der Riffe,
sich im Zerreiben zeternd noch zerzanken!

Hör, wie im Schauerwald die Stäbe knattern,
wenn der gewaltige Orkan sie schindet,
der sich, ein Dämon, durch das Dickicht windet
und scheuchet Menschen, Würmer, giftge Nattern.

Wohin will meine flinke Hütte fliegen?
Schon flattert sie als Fledermaus durchs Land.
Kein Wirbelwind kann ihren Spuk besiegen!

Und ich als Parasit, leicht und galant,
ich fliege mit, als würde ich nichts wiegen,
ein blinder Passagier – doch nicht verschwiegen.




                   4. Verwüstung


Wie soll ich die Verwüstung schildern?
Morast, Gerippe und Gerölle,
vom Sturm gespieen wie Gewölle!
Mal' ich den Graus in grellen Bildern?

Wie grässlich, in den Matsch zu fallen!
Wo sich nur Gräuel offenbart,
zeugt Chaos, zart mit Kitsch gepaart,
Chimären, die in Zungen lallen.

Erlaube, dass ich leiser singe,
wie Schatten nur; ich will ihn schonen,
dass mein Gesang wie Nichts erklinge.

So wird mein Singen mich belohnen,
entsterbend diesem Reich der Dinge,
um stummer im Sonett zu wohnen.


                                                 Rolf-Peter Wille
                                                        (2020)





“Chimären”: hier chinesische Grabhüter (鎮墓獸)







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