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Samstag, 5. Oktober 2019
Ich bin die Patina
Ich
bin die Patina
Ich
bin die Patina, die gierig graue.
Zu
grau, zu alt; ich weiß, Du liebst mich nicht.
Ich
klebe dreist als widerliche Schicht
Auf
Deinem Leben, bis ich Dich verdaue.
Ich
lege mich wie Staub auf Deine Lenden,
Zerfresse
Dir Dein süßes Angesicht.
Im
Traume noch da lecket meine Gicht
An
Deinen Füßen und an Deinen Händen.
Jedoch
die Poesie in Deinem Geist
Die
ist abstrakt. Wie kann ich sie verderben?
Die
kämpft noch kühn mit starkem Regiment.
Ach
warte nur. Bald ist auch sie vergreist.
Denn
stärker ist die Poesie vom Sterben,
Die
Poesie im Staub…, im Sediment…
(2005)
Ihr letzter Reigen
Ihr letzter Reigen
(mit lieben Grüßen an HH und WS)Was schreib ich Narr und rezitier Sonettein reiner Prosodie und zartem Klang?Was klag ich in poetischem Gesangder Poesie an ihrem Totenbette?Wo weilt die Liebste, dass ich sie noch rette?Ist sie verwest? Verwehte der Gestank?Gern weint' ich ihr am Grabe meinen Dankin weichen Tränen, wenn ich sie noch hätte!Geblieben ist die letzte meiner Lieben:Du, sanfte Ironie, sollst nicht verwehn,die süßer mir manch scharfen Vers geschrieben!"Bin müd, mein Schatz; ich will schon schlummern gehn.Lang ausgesungen ist mein letzter Reigen.Beschließe deinen Reim!" Der Rest ist Schweigen.
(2020)
In Musen wandele und Maden (orphische Sonette)
In Musen wandele und Maden
(orphische Sonette)
1. Eurydikes Dreiklang
Hinab! Die Leier fiel ins Reich der Schatten.Nur aus der Tiefe kann er sie noch hören.Die Nymphe, um den Hades zu betören,sinkt in die Unterwelt für ihren Gatten.Mit nackten Füßen, die nie Strümpfe hatten,streift sie durch Sümpfe, huscht durch dichte Föhren.Schon hört sie aus den Schlünden wildes Röhren,Gebrüll vom Höllenhund, dem nimmersatten.Erbebend naht sie sich dem Ungeheuer.Und seine Zähne mahlen Orpheus‘ Leier,und, ach, sein zweiter Rachen fauchet Feuer.Der dritte lispelt: „Lüfte deinen Schleier!Gib mir, oh süße Nymphe, einen Kuss!“Drei Küsse und – Musik wird Zerberus.
2. Bardisches LamentHab ich wie Herkules nicht hart gerungenmit zarten Reimen und mit Assonanzen?Hieb ich die Hydra nicht entzwei mit Lanzen,riss nicht aus Schlangenhäuptern ihre Zungen,die lüstern sangen und – eh sie verklungen –verflocht ich ihr Geflüster nicht zu Stanzenund formte mein Geflecht zum runden Ganzen?Hab ich‘s galant wie Orpheus nicht besungen?Doch ach, wer lauscht noch lyrischen Gesängen?Die Nymphe schwand; – mit adlerscharfen Fängenbelauern mich, den Leiermann, Mänaden!Und bald, ach bald, so raunt es die Sibylle ,erklingt statt Liedern aus der Stillenur noch das Zirpen der Zikaden.
3. Orpheus vollendetDich, Muse, suche ich auf meinen Pfadenund wandele wie Orpheus mit Figurenvon Nymphen und gar neckischer Lemuren;die führen mich zu lieblichen Gestaden.Doch wehe! Statt der reizenden Najadenerwarten mich am Ufer Kreaturenmit Kröpfen und bacchantischen Konturendämonischer Geschöpfe, ach – Mänaden!Ein Sprung in das immense Meer: – „Ulysses,sei du hinfort mein listiger Begleiter!“Dies liebliche Sonett? Sing ich es weiter?Das sprang in den Mänadenschlund. – „So friss es!“Die Muse weint. Ich habe sie verschwendet.Doch Orpheus hat sein Lied bereits vollendet.
4. Musenschwärmereicon passioneMit ihr allein schwärmt' ich auf meinen Pfaden;denn sie und ich, wir wandeln Arm in Arm.Verwandelt jagt die Muse mich als Schwarmsüchtiger Fliegen. Wehe! – Ihre Madendurchkriechen mein Gedicht und sie besaugenden Vers in seinem Mark. Die Brut will schlüpfen.Schon spür ich, wie sie krabbeln. Und sie hüpfenals Fliegen mir aus Nase, Mund und Augen.„Bekleckert jetzt..., beleckt mir diese Zeilen,die ich in weicher Stimme rezitiere,und klebt und saugt am süßen Reim bisweilen,dass meine spitze Feder euch fixiere.“Oh lausch! – Schwebt nicht, so licht, so bunt,ein Musenschwarm aus meinem Mund?
Rolf-Peter Wille
(2023)
Vorgänger Version von "Bardisches Lament":
Stummes Lamenteines heiteren Dichters
Hab ich, ein Herkules, nicht hart gerungenmit Vers und Reimen? Ei, jawohl! Ich habe.Jetzt scheint mir gar – ein Bein bereits im Grabe –da hätt ich stumme Liedchen mir gesungen.Der Hydra hab ich Häupter abgesäbelt,gar manchen Hühnerstall befreit vom Mist,verdreht, wie diesen hier, den Satz mit Listund seinen Bau, ein Hüne, ausgehebelt.Geblieben ist ein tauber Nachgeschmack,
das stumme Echo nie erlauschter Stanzen.Zieh ich noch stummere aus meinem Ranzen,Kaninchenleichen für den Selbstverlag?Verblühter Barde bleibe heiterund dichte hübsch im Grabe weiter!
In seinem Tempel
In seinem Tempel
Dem
Kritikós, dem willst Du dienen? Stille!
Denn
hier betrittst Du seinen hehren Tempel.
Nicht
mit der Feder sondern mit dem Stempel
Sollst
Du beten. Dieses ist sein Wille.
Sonette
willst Du dichten? Künstlergrille!
Dem
Gotte schmeckt er nicht, Dein leerer Krempel.
Verkünde
als didaktisches Exempel
Uns
die Kritik der dichterischen Stille.
Nun
lächelt er sein sanftes Marmorlächeln,
Ein
wenig kritisch, aber süffisant.
Du
bist gewaschen jetzt, ein alter Hase.
Vergiss nicht manchmal kühlen Wind zu fächeln
Von
Aristoteles und auch von Kant:
Die
Düfte schmeicheln seiner kalten Nase.
(2004)
Veritas |
Mittwoch, 2. Oktober 2019
Kulturgesang
Kulturgesang
Vergiss die
Diamanten! Doch dein Garten...,
den Garten
kultiviere! – sagt Voltaire.
Und sei dein
Gärtner auch du selbst! – so er;
begieße deine
Blümchen, all die zarten!
Die meinen?
Freilich, sie begießt der Himmel
und putzt den
Garten mir mit Wind und Wetter.
Die Früchte
werden runder stets, und fetter,
und frisst sie
keiner, ja, dann tut's der Schimmel.
Was soll ich
meinen Garten denn verzieren?
Ich fresse nichts!
Doch will ich fleißig spinnen,
hängt auch der
Magen lasch und meine Hände.
Es wächst ein
lustig Lied in meinen Sinnen
von einem Garten
und von seinem Ende,
und mein Gesang
vom Schimmel Kultivieren.
(2019)
Dienstag, 1. Oktober 2019
Limetten
Limetten
Sonaten spiel ich nie – ich sing Sonette.Limetten pflanzte ich statt der Tomaten.Ich hoffe doch, sie keimen, meine Saaten,dass ich was Feines für den Winter hätte.Reime geduldig, kultivier die Stätte:Es wächst sogleich dir ein Zitronengarten!Lass deine Leser, die Matronen, wartenauf edlere Limonen, nicht kokette!Hurrah! Schon strahlen sie in grünem Glanze,die wohl gereimten Früchte meiner Ernte.Ein Schlückchen – prost! – vom Wein der Pomeranze?Was krabbelt dort in wunderlichem Tanze?Aus wildem Reim, den ich zu scheu entfernte,entwindet sich das Wesen einer Wanze.
(2023)
Montag, 30. September 2019
Mosaik im Augenblick
Mosaik
im Augenblick
Im
Ursprung ruhen nur die Kieselsteine
Verwurzelt
still im eigenen Gewicht.
Zum
Mosaik verbinden als Gedicht
Das
kann der Geist des Dichters sie alleine.
So
scheint der Geist uns Dichtern nur zu Eigen.
Und
ewig hält die Zeit ihr Mosaik
In
wunderlichem, altvertrauten Reigen
Millionenfach
bereit im Augenblick.
Doch
wird der Geist sich nur dem Dichter zeigen,
Der
ihn erkennen mag, mit etwas Glück,
Im
kleinen Kieselstein. Er kann nur taugen
Als
unser Edelstein, als unser Eigen,
Wenn
wir verliebt mit klugen Dichteraugen
Im
Geist erschau’n sein eig’nes Mosaik.
(2002)
ein kieselstein im
mosaik des augenblicks -
mosaik bereits
mosaik des augenblicks -
mosaik bereits
So flüchtig
So flüchtigSo flüchtig, wie sich deine Lippen spürenund lösen, wenn sie seinen Geist belebenund beide spielend sich einander geben,so flüchtig soll dich mein Sonett berühren.Flink saugt aus seinen Silben, die nie singen,dein Auge seiner Worte Sinn und Wesen.Schon formen deine Lippen sie aus Lesenzur Melodie in sinnlichem Erklingen.Und jenes Wesen, aus dir selbst geboren…löst sich von dir –. Es mag sein Hauch dich küssenso flüchtig wie in diesem Augenblick.Süchtiger Geist, der tief in mir gegoren,trieb mich, aus Worten seinen Wein zu pressen.Gib du den Duft im Trinken dir zurück!Rolf-Peter Wille(2023)
Sonntag, 29. September 2019
Das Spielzeug
Das Spielzeug
Ich hasse sie, die Eulenspiegeleien!
Gewitztes Wortgespiel, zerfranzte Phrasen,
gescheuter Unsinn, solche Eiteleien
sind ein Gewäsch, Produkt verrotzter Nasen!
Besabbern dich die seichten Sudeleien
der Stilfiguren, diese Seifenblasen?
Meinst du, die riechen frisch? Meinst du, sie seien
ein Rosenstrauß? Das sind nur Blumenvasen!
Du nickst? Es stimmt? Jetzt hab ich dich, du Wicht!
Sind’s nicht Figuren hier in diesem Satz?
Sind’s nicht Figuren hier in dem Gedicht?
Die Sprache spielt. Sie spielt mit dir, mein Schatz.
Sie trifft mit ihrem Wort, sie trifft gezielt.
Ihr Spielzeug ist der nicht mit Sprache spielt.
(2008)
Samstag, 28. September 2019
Verdammte Strophen
Verdammte
Strophen
Vollbracht!
Die Verse stehn auf dem Papiere.
Es lacht die
Melodie sich durch die Stanzen;
der Rhythmus
hüpft, die Prosodie will tanzen:
Vollendet sind
die Strophen – alle viere.
Ein Glas
Champagner her! Der Mann soll feiern!
Doch
Unheilvolles schwant dem armen Tropfe,
weil stets
vollkommener in seinem Kopfe
die Strophen – alle viere – weiterleiern.
Gern würd’ er
selig schlummern, sacht vergessen.
Da sabbelt er
im Wahne wie besessen
und schaurig
schreckt’s ihn nachts aus wirren Träumen,
als wisperte
der Satan ohne Säumen:
“Komm heeer,
mein Schatzzz, zu miiir und rezitierrre
noch hhheißer
deine Strooophen – alle
vierrre.”
(2012)
Freitag, 27. September 2019
Verwitterte Sonette
Verwitterte Sonette
Sonette schrieb er einst und manch Gedichte.
Nun ist er satt und stille, dunkel, stumm.
Im Moll verglimmt sein matter Wille. Dumm
Wirkt er nicht, doch dumpf sind die Gesichte.
Wie leicht flog ihm die Feder in der Jugend!
Er war so geistreich, heiter, elegant,
So witzig, spritzig und gescheit. Bekannt
Und doch galant; man liebte seine Tugend.
Im Groll und doch in kalter Ironie
Zieht er verbittert an der Zigarette.
Erwacht sie noch, die ruinierte Stärke?
Ach, er verlacht die alte Poesie!
Wer liest sie noch, die publizierten Werke,
Die lieben, die verwitterten Sonette?
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