Posts mit dem Label Mittelalter werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Mittelalter werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Samstag, 5. Oktober 2019

Hexenjagd




                        Hexenjagd


Potzblitz! War er nicht grad noch quietschfidel?
Welch Pandämonium! Wild schrillt sein Schrei’n
bis in den Himmel und durch Mark und Bein
brennt sich der Schmerz ins Innerste der Seel.

Verflucht sei sie! Es schoss die fiese Hex
gezielt hinein in seinen feisten Rücken.
Jetzt kriechet er gekrümmt, verkrampft an Krücken.
Verflogen ist sein Flair, sein Schmelz, sein Sex.

Dort schleicht er wie ein Dämon durch die Wohnung
auf seiner bösen Jagd, dass er sie fass.
Wo ist die Hex, die diesen Schuss getan?

Wenn er sie greift, so kennt er keine Schonung.
Rubinrot glühn die Augen ihm vor Hass
und aus dem Maule geifert Hexenwahn.


                                                                                                                                         Rolf-Peter Wille
                                                   (2009)

                                 
     
  Johann Zainer: "Hexenschuss", ~1490










Hohe Minne




                         Hohe Minne


Nur Du, oh Herrin, bist mein einzig Streben.
Nur Deiner will ich immerdar gedenken!
Stets Dir mein Herz, Dir meinen Mund zu schenken,
stets Dich zu ehren, sei mein Sinn, mein Leben!

Auf steigt mein Glück wie Tauben sich erheben,
spür ich Dein Auge sich in meines senken.
Willst Du Dein Lächeln, Englische, mir schenken,
soll ich auf Erden schon im Himmel schweben.

Lass mich, oh Herrin, ewig Dich besingen,
den Liebreiz Deiner Lippen, Deiner Wangen,
ihr wundersames Spiel in Verse zwingen!

Hab’ ich die Seele im Sonett gefangen,
bringt meine Sangeskunst sie zum Erklingen,
so werden wir Unsterblichkeit erlangen!


                                                     Rolf-Peter Wille
                                                            (2014)
                                         

                                           

Andrea di Bartolo di Bargilla: Petrarca, ~1450    



       
          
     

Anmerkung: mein Sonett parodiert Francesco Petrarca; "Englische": hier "Engelsgleiche"









Donnerstag, 3. Oktober 2019

Die Kathedrale




                   Die Kathedrale


Noch glüht der Himmel rot im Feuerscheine.
Die Glocke schmolz, zersplittert sind die Sparren.
Wie trauernd ragen, Mahnmal des Bizarren,
vom Gotteshaus nurmehr die Trümmersteine.

Doch schau: Schon sieht man Fürsten und Gemeine,
die spannen sich wie Ochsen vor die Karren.
Sie tanzen, singen, die verzückten Narren,
und ziehn gewaltiges Gestein zum Schreine.

Dort strebt empor in kühnen Bogenrippen
der Kathedrale mächtiges Gewölbe.
Es recken sich die Säulenkapitelle.

Die Jungfrau blickt hinauf ins Lichte, Helle.
Wie glänzt ihr Strahlenkranz, der goldengelbe!
Und wonnig lächeln ihre Rosenlippen.


                                                       Rolf-Peter Wille
                                                                (2014)



           
                        Chartres Kathedrale 
            

Anmerkung: : "Karrenkult" (cult of carts):  1145 spannten sich in Chartres singende Bürger und Edelleute 
wie Ochsen vor die Karren, um Steine auf die Baustelle der Kathedrale zu schleppen. 








  


                                       















Der Ketzer



                         Der Ketzer


Ein Ei! Er fraß ein Ei anstatt zu fasten!
Karfreitag fraß er’s?  Ja!  Verbrennt den Ketzer!
Ein Monstrum ist der Mann, Verbotsverletzer!
Stets schriller schreit der Chor der Agelasten.

Hinaus! Ergreifet ihn! Und geifernd hasten
die Hetzer, Häscher, Henker, Messerwetzer:
Im Netze zappelt der Moralzersetzer,
gefangen und gefesselt und im Kasten.

Müd’ ist der Kardinal. Nun will er naschen.
Man reicht ihm Wein, der labet seine Kehle.
Die Nase lockt ein Duft gefüllter Taschen.

Und hoch im Schlote, dass er langsam schwele,
erglüht des Sünders Leib, verbrennt zu Aschen.
Ach Herr, erbarme Dich der Ketzerseele!


                                                 Rolf-Peter Wille
                                                       (2014)

                              

Francisco de Goya: Disciplinantes junto a un arco, 1813

Anmerkung: Ein "Agelast" ist ein Nicht-Lacher, oder Humor Verächter, z. B. Jorge von Burgos in Der Name der Rose (Ecco), oder Spock (Star Treck). Das Wort macht sich gut in Zungenbrechern: "At last: The aged agelast laughs!" (Voluntas)

Das Sonett ist "inspiriert" von der "Kloake", dem Exil-Papsttum in Avignon, 1309-1377.





          



Montag, 30. September 2019

Der Pilgerzug




                         Der Pilgerzug


Es brennt! Es brennt im Schweife des Kometen.
Ein Widerschein umhüllt die Nebensonnen.
Der Himmel weint. Blut schwitzen die Madonnen,
und Unheil künden Sterne und Planeten.

Tut Buße nun! Schon schmettern die Trompeten
zur Pilgerfahrt, zum Aufbruch der Kolonnen.
Bald haben wir Jerusalem gewonnen.
Ihr Knaben, folgt dem Rufe des Propheten!

Mit Ehrfurcht sieht man vor dem heilgen Grabe
den edlen Eremiten sich vertiefen.
Gerettet hat ihn seine Sehergabe.

Doch andre sind verschollen. Tränen triefen.
Geflüstert wird, es sei manch frommer Knabe
ein Sklave noch am Hofe des Kalifen.


                                                                Rolf-Peter Wille
                                                                        (2014)


           

         Peter der Einsiedler betet vor dem Heiligen Grab




 
           

                  








Der Rattenfänger




                  Der Rattenfänger


Die Mäuse sind ersäuft. Nun fängt er Kinder.
Geprellt, getäuscht bei seiner Rattenhatz
macht er heut Rachejagd auf Hamelns Schatz,
auf Mägdlein, Knaben. Arger Ratzenschinder!

Herbei, herbei! Wie kess der pfeifen kann!
Verschmitzter Schalk, wie wippt sein roter Hut
im Wind so wunderlich! Mit frohem Mut
umjauchzen sie den feschen Jägersmann.

Die Alten aber bangen nachts und wachen
in dunklem Ahnen. Andre woll’n ihn fassen.
Auf rauscht die Klage weher Jammerweisen.

Ach Hameln, arme Stadt, man stahl dein Lachen!
Ein schwarzer Rabe gleitet durch die Gassen
und leeres Murmeln wie von Mümmelgreisen.


                                                        Rolf-Peter Wille
                                                                (2009)
   
                                                                       

Rattenfänger, 1592




                                 




Ruiniert




                      Ruiniert


.... raget aus dem Maul der hohle .....
.................. nurmehr verwitterte Ruine.
Noch kühn ...... beschatten .......... Miene.
…… zerfallen ...................... eitel Wahn.

......... wo einst die stolzen .........……
..... heut den .....………. ihrer Lanzen.
..................………. zu verschanzen
........ zeugen ............ rauhen Sitten.

Indes ....... sprachlos ... ringen ihre Hände.
..................…….. Barden lamentieren
....... weh! .............…. nie sanieren.

...........................……….… ausgehaucht.
………. ist müde, abgewrackt, verbraucht.
.......................…….…………. Ende.


                                                           
                                                              Rolf-Peter Wille
                                                                      (2014)

                                                 

Caspar David Friedrich: 
Klosterfriedhof im Schnee (Ausschnitt), ~1810




Der Säulensteher





                  Der Säulensteher


Und aus dem Sand gewalt’ge Kapitelle
der Marmorsäulen, die wie Meteore
hinabgeworfen, ragen vor dem Tore,
den Trümmern Zyrnas ruinierter Wälle.

Hoch ragt’ die Säule einst. Die höchste Stelle
erwählte sich der Weise als Empore.
Und durch die Wüste dröhnte das sonore
Organ von oben aus der Luftkapelle.

Dort stand der Heilge fünfundachtzig Jahre
und spuckt’ hinab auf die verzückten Jünger,
bis er zu Staub zerfiel nach einer Dürre.

Und falls nach Zyrna ich mich mal verirre,
dann kauf’ ich seinen Speichel und die Haare
als Amulett. Und wenn’s nicht wirkt, als Dünger.


                                                                  Rolf-Peter Wille
                                                                           (2016)

                                       

                                   


Anmerkung: nach meiner Geschichte Spytilitos; siehe Säulenheiliger Symeon Stylites.




Der Schnitter



                     Der Schnitter


Verlassen steht im Feld die Vogelscheuche.
Die Lumpen sind zerzaust, der Hut verloren.
Ein schwarzer Falter tanzt um ihre Ohren
im Flatterreigen alter Trauerbräuche.

Tot liegt die Stadt nach einer faulen Seuche.
Die Menschen sind wie Gras hinweggeschoren.
Noch schwelen ihre Leichen vor den Toren,
die Leiber aufgedunsen, schwarz die Bäuche.

Hoch auf der Löwenburg im Kreis der Ritter
hebt der berauschte König seinen Becher:
“Wir haben ihn gebannt, den alten Schnitter!”

Da! Zähneknirschen! Ein zerlumpter Zecher.
Er reckt sich auf – Entsetzen und Gezitter:
Dort grinst die Todesfratz’ – der grause Rächer!


                                                  Rolf-Peter Wille
                                                          (2014)

                                                            

Pieter Brueghel: Detail aus Der Triumph des Todes, 1562
           

          







Sonnengesang




                        Sonnengesang


Gelobet seist Du, Herr, durch Bruder Sonne!
Er strahlt in großem Glanz aus hoher Ferne.
Die Schwester Mond, so kostbar, und die Sterne,
sie leuchten als Dein Wort und meine Wonne.

Gelobet seist Du, Herr, durch Mutter Erde,
die mich ernährt mit urgesunder Speise!
Dein Bruder Wind weht heiter mir und leise.
Gib, Schwester Wasser, dass ich reiner werde!

Und wenn die Krankheit meinen Leib benetzet,
gib, Herr, dass ich in Drangsal Liebe übe,
dass ich verzeihe, wo man mich verletzet!

Dich, Herr, zu preisen, sei mein einzig Streben,
dass mich des Leibes Sterben nicht betrübe
und ich erwache, einst, zum ew’gen Leben.


                                                           Rolf-Peter Wille
                                                                  (2014)

                                  

                               Giotto di Bondone: Vogelpredigt 
                              des Heiligen Franz von Assisi, 1295


                                        


                       

















                       Anmerkung: nach dem "Sonnengesang" von Franz von Assisi.










Sonntag, 29. September 2019

Stets mit List, Alchemist!




         Stets mit List, Alchemist!
               
                                (giftig geschüttelt)


Suchst du die Lurche für den Gammelsaft,
die Unken gar, und gift'ge Schnabelnattern?
O lausche, wer da beim Gesammel gafft,
denn Geister gibt's, die mit dem Nabel schnattern!

Rasch kommen sie geweht  wie Leichen weiß.
Sie wispern. Wer mag das Palaver deuten?
Schon schwindet dieser Spuk, sie weichen leis
und nichts verbleibt von den Kadaverleuten.

Nun flüstere, mit Poesie vermengt,
lass dich umflimmern von der Funkeneule!
Sei listig, Schatz, denn Alchemie versengt
und lecket dich wie schwarze Unkenfäule!

Was schwörst du jetzt auf deine Warzenpille?
Wenn du verreckst, so war's der Parzen Wille!


                                                          Rolf-Peter Wille
                                                         (2005, rev. 2019)

                                  

Pieter Brueghel: Der Alchemist, ~1558