Sonntag, 29. September 2019

Tippel-Tappel



                    Tippel-Tappel
          
            (die Geschichte eines vergesslichen Zwerges)


Ein zarter Zwerg er heißet Tippel-Tappel
trägt seinen Witz, die winz’ge Wichtelgrütze,
versteckt in niedlicher Gedankenmütze.
Die weht vom Kopfe ihm ei, welch’ Gezappel!

Der arme Zwerg! Verirrt rennt er durch’s Feld.
Leer ist sein Kopf, die Welt nun öd’ und trüb.
Wo ist sie nur? Wo ist sein Mützlein lieb?
Ja, für die Mütze gäb’ er all sein Geld.

“Wo ist sie?”, fragt der Zwerg die Vogelschar.
Er fragt den stummen Fliegenpilz sogar.
Im Wald die Tiere helfen Tippel-Tappel.

Hei, war das ein Getrippel, ein Getrappel!
Fand er die Mütze? Blieb sein Köpfchen leer?
Vergessen habe ich’s zu lang ist’s her…


                                             Rolf-Peter Wille
                                                   (2012)

   

                   Annemarie Wille: Tippel-Tappel



Anmerkung: meiner Mutter, Annemarie Wille, zum 85. Geburtstag




Totentanz




                           Totentanz


Den Greis packt das Grausen, der Ritter verzagt.
Sie zittern wie faules Gerippe.
Zwar wehrt sich verzweifelt die sittliche Magd –
der Sensenmann küsst ihre Lippe.

Doch nachts auf dem Kirchhof, da sei es gewagt
bei jauchzendem Knochengewippe.
Sie schaukeln die Schenkel. Doch wenn es getagt,
entschwindet die lustige Sippe.

Drum wandele heiter, und nur nicht geklagt!
Bald schiebt dich Freund Hein auf die Schippe.
Und wenn Dich die Zeit mit den Zähnchen benagt,
dann wirft er dich flink auf die Kippe.

Ich bin der Tod, dein A priori:
Vergiss mich nicht – Memento  mori!


                                                      Rolf-Peter Wille
                                                              (2014)
                                                                    
                                        
                                 aus der  Nürnberger Chronik von 1493











Der traurige Mönch



            Der traurige Mönch

                          (nach der Ballade
                        von Nikolaus Lenau)


In Schweden steht ein Turm, ein grauer,
von Aaren wunderlich umkreist.
Doch im Gewölbe spukt ein Geist
als stummer Mönch in tiefer Trauer.

Ein Ritter kommt im Regenschauer
mit seinem Rappen angereist.
Gar lustig tritt er ein und dreist
sucht er das Mönchlein auf der Lauer.

Er sieht ihn nachts bei hellem Licht
und wild durchzittert ihn sein Weh.
Zerrüttet zieht er morgens weiter.

Aus Sträuchern starrt das Mönchsgesicht.
Nur sterben wollen Ross und Reiter.
Der Rappe strauchelt in den See.


                                    Rolf-Peter Wille
                                            (2019)



Arnold Schoenberg: Christus, 1910













Der treue Hund




                Der treue Hund


Geh wandern, denn es ist gesund!
Spring durch den Wald! Erklimm die Klippen!
Heut schallt ein Lied von meinen Lippen,
das Lied von einem treuen Hund.

Der folgt mir munter auf den Wegen
nach oben bis zum Gipfel hin,
ob Winde durch die Wipfel ziehn,
bei Sonne, Wolken, oder Regen.

Der Gipfel naht. Schon sind wir hier.
Doch schau  da steht bereits ein andrer
auf seinem Grat! Wir sind zu dritt.

Es greift nach seinem Stock der Wandrer.
Nun ist er fort. Und auch mein Tier
lief treu mit jenem Fremden mit.


                                     Rolf-Peter Wille
                                            (2019)

                        

1940 Film nach der Novelle
von Marie von Ebner-Eschenbach









Der Untote


   
                         Der Untote


Wo Egel gierig ekle Säfte saugen –
Sieh’, welch ein süchtig klebriges Gewürm –
Verglüht im Tümpel giftiges Gestirn.
Es glimmt ein grauser Mond in Unkenaugen.

Und nachts am Sumpf im faulen Fieberschein,
In feuchten Grüften modernd klamm gefangen,
Von schimmelndem Geflechte sanft behangen,
Verweset leise käsiges Gebein.

Es muß um jenen Sumpf geduckt ein Wesen schleichen:
In dunklem Traume, der sich selbst verdaut,
Kann es sich dennoch niemals selbst entweichen.

Welch Unhold, dem es vor sich selber graut!
Und in dem Tümpel, in dem gräulich bleichen,
Da hab’ mein Spiegelbild ich nie erschaut.




                                                        Rolf-PeterWille 
                                                                (2002)


    
                        Theodor Kittelsen: Sjøtrollet, 1887









Samstag, 28. September 2019

Verdammte Strophen




                Verdammte Strophen


Vollbracht! Die Verse stehn auf dem Papiere.
Es lacht die Melodie sich durch die Stanzen;
der Rhythmus hüpft, die Prosodie will tanzen:
Vollendet sind die Strophen alle viere.

Ein Glas Champagner her! Der Mann soll feiern!
Doch Unheilvolles schwant dem armen Tropfe,
weil stets vollkommener in seinem Kopfe
die Strophen alle viere – weiterleiern.

Gern würd’ er selig schlummern, sacht vergessen.
Da sabbelt er im Wahne wie besessen
und schaurig schreckt’s ihn nachts aus wirren Träumen,

als wisperte der Satan ohne Säumen:
“Komm heeer, mein Schatzzz, zu miiir und rezitierrre
noch hhheißer deine Strooophen alle vierrre.”


                                                               Rolf-Peter Wille
                                                                      (2012)


       

       Gösta Ekman (Faust) und Emil Jannings (Mephisto)
        in Murnaus Faust, 1926


































Freitag, 27. September 2019

Versteinert und Jadelächeln



                    Versteinert


Sprichst Du von Freude, Frohsinn, fernen Zeiten 
der Liebe? Sprich mir nicht vom Lebensglück!
Hinab: die Hölle schon im Augenblick;
Sekunden ziehen sich zu Ewigkeiten.

Verblühter Ruhm, verblasste Memoiren
entzünden sich mit kindestoller Wut
in kranker Brust. Es brennt die Schamesglut
sich durch die Adern bis zu meinen Haaren.

Zurück! Nach vorne! schreit es um die Wette.
Hinaus! ruft eine Stimme. Setz Dich hin.
Vergessen sollst Du…, nur noch meditieren.

Hinaus! Hinaus aus meinem Existieren!
Hinaus aus diesem Elend! Doch ich bin
erstarrt, versteinert – eine Statuette.





                           Jadelächeln                                            


Versteinert sitzt er viele tausend Jahr.
Still schwebt sein Jadelächeln in dem weiten
und lichten Taumel der Unendlichkeiten.
Ersterbend webt sein Geist und wird und war.

Wie ich auch zittere im bittren Wein
der Wehmut, schmerzverzerret die Grimassen,
stets bleibt sein Lächeln heiter. Und gelassen
sitzt er im Yogasitz als Jadestein.

Und kauernd, stumme Stunden, steh und starre
ich in das kalte Steinern des Gesichts 
ein alter, grauer Gott – vielleicht aus Jade.

Zu feindlich ist Unendlichkeit, zu fade.
Wirds mich versteinern, wenn ich weiter harre?
Mit heitrem Mund belächelt mich das Nichts.


                                                   Rolf-Peter Wille
                                                           (2009)