Montag, 7. Oktober 2019

Dereinst im kahlen Harz


 


Dereinst im kahlen Harz

 

Noch wandre ich auf lichten Maienpfaden,
auf Moos dahin und durch die Heidelbeeren.
Schau nicht hinauf! Bestarre nicht die leeren,
verzehrten Fichtenwipfel, die maladen!

Nein, singe nicht vom siechen Wald Balladen!
Schließ deine Äugelein und lausch dem hehren
Gesang der Vögelein. Ja, sie verehren
noch immer…, was? Ich sehe nur Fassaden.

Verdammt sind ihre lieblichen Gesänge,
die Blümlein alle und der liebe Mai.
Verdammt sei meiner Wege Melodie!

Dereinst erschallen wieder Vogelklänge
und wilde Wälder wachsen frei.
Dereinst… — in meinem Leben nie. 


                                                                        Rolf-Peter Wille

                                                                               (2022)



Toter Wald im Harz

 

         

                          



 

Sonntag, 6. Oktober 2019

Ein Dichter in Gedanken




           Ein Dichter in Gedanken


Verloren bist du, Liebster, in Gedanken,
die sich, ein Mühlenrad, im Kreise drehen.
Ach, mögest du die frevelhaften sehen,
wie sie sich frech um deine Seele ranken!

Willst du benebelt in die Irre wanken,
wo wirre Geister dich im Wind verwehen?
Verweile doch, du Dichter, bleibe stehen!
Verscheuche die Gesichter, jene kranken!

Sei still, mein Schatz, du störst mir die Sonette!
Es rauscht die Muse. Warte noch ein Weilchen.
Gar süße Weisen singt sie, horch, so schöne.

Schon liege ich verzückt im Dichterbette.
Und dann , ...dann schenkt sie mir viel zarte Veilchen
und sicherlich sehr feine Musensöhne.


                                                             Rolf-Peter Wille
                                                                     (2019)


Eugène Delacroix: Hésiode et la Muse, ~1857 
                             










Eisbachwelle

 


                       Eisbachwelle


Reißend Wasser soll die Welle nähren:
Federnd spannt sie sich empor; und wendig
schnellen Surfer über sie, die ständig
spielend sich aus Sterben neu gebären.

Feurig springt der erste. Ob’s ihm glücke,
kalte Macht zu zwingen? Doch der Drache
ringt ihn rasend in die Flut. Ich lache;
und wir alle starren von der Brücke.

Schau, schon tanzt der zweite! Der kann fliegen;
leicht schwebt er dahin – geschmeidig; munter
spielt er mit der Welle. Wer wird siegen?

Hei…, da reißt der Eisbach ihn hinunter.
   Wilder spritzt die kalte Gischt des Drachen.
   Auf der Brücke zittern wir und lachen.


                                                                          Rolf-Peter Wille

                                                                                (2023) 
























Find ich dich wieder wohl im Frühlingswinde?




Find ich dich wieder wohl im Frühlingswinde?

Find ich dich wieder wohl im Frühlingswinde?
So weht er nicht, wie du, so sanft und Seide!
Such ich dein Süß in einer Sommerlinde?
Strahlt mir dein Grün aus ihrem Blätterkleide?
Soll ich den Schimmer deiner Rosenlippen,
Soll ich ihr Rot im Rosa denn besingen,
Vom Wonnemund und seinem Wein zu nippen,
die Würze kühn in schale Jamben zwingen?
Ich darf es nicht! Beschämt steh ich als Dichter,
Wo meine Kunst versagt vor solchen Reizen,
Und ich gesteh: Es sind nur Hohngesichter,
Die sich im Lied von meiner Ohnmacht spreizen.
Wie ich es dreh’, es soll mir nicht gelingen.
Darum, mein Lieb, darf ich nicht weitersingen.


                                                    Rolf-Peter Wille
                                                            (2014)
    

Darstellung höfischer Liebe auf einer Goldtruhe

Anmerkung: aus meinem Rhetorikum Grüne Figur bei Rot; mein "Liebes-Sonett" ist eine Variation des Satzes "Ich trug ein grünes Hemd und ging bei Rot über die Straße" und parodiert gleichzeitig Shakespeares Sonett 18“Shall I compare thee to a summer’s day?" [“Soll ich dich einem Sommertag vergleichen? / Er ist wie du so lieblich nicht und lind; / Nach kurzer Dauer muß sein Glanz verbleichen, / Und selbst in Maienknospen tobt der Wind.”]                                               








Fluch der Pharaonen





    Fluch der Pharaonen
                 ein Domino Sonett


Gewaltig ragt die prächtge Pyramide – 
ein Weltrekord! Stolz türmt sich Stein auf Stein.
Stürzt mir beim Gipfelbau sie schmählich ein?
Welch Trümmerhaufen! Au, das wär perfide!

Verzichte doch, mein Liebster, auf den Gipfel!
Fehlt nicht dem Wunder jener Pharaonen,
die so galant in Sarkophagen wohnen,
fehlt ihm in Giza nicht sein goldner Zipfel?

Na geh! Ich bin doch kein Ruinenbauer!
Noch ist sie frisch! Noch ist sie nicht verwittert!
Die Pharaonen? Ja, die wären sauer.

Die Krone fehlt, der letzte goldne Stein.
Sei vorsichtig, mein Händchen, nicht gezittert:
Vollbracht! ... da bricht die Pyramide ein.

                                               Rolf-PeterWille
                                                      (2020)



Paul Klee: Pyramide, 1930






  





Frühling im Neanderthal






       Frühling im Neanderthal

        Lobet den Herrn, Ihr Fossilien!


Unruhig kauert ihr in dem sibir'schen
Winter, eingekeilt in ew'gen Frost,
tief unter Knochen aus gefrorner Kost
von Bison, Auerochs und Rentierhirschen.

Zerschmelze nun, du eisige Idylle.
Vorsichtig öffnet sich die Kühlschranktür
und leise mit untrüglichem Gespür
entlockt dem Froste euch der Forscherwille.

Vorbei die Eiszeit im Neanderthal!
Erwacht, ihr Mammute, ihr Höhlenbären,
und lobet Ihn, den Herrn, der euch erweckt!

Erlöset seid ihr von des Winters Qual.
Rasch aufgetaut! Der Herr will euch verzehren.
Nähret die Flammengeister und verreckt!

                                                      
                                               Rolf-Peter Wille
                                                        (2009)


  

Höhlenmalerei


Der Frühling zwitschert sich durch das Gedränge



Der Frühling zwitschert sich durch das Gedränge

Wie lustig ist’s, im Freien zu spazieren!
Der Frühling zwitschert sich durch die Alleen;
verzückt darf ich in grünem Kleide gehen,
wo sich im Grünen Freunde amüsieren.
Wie lästig, bei der Ampel zu verschmachten!
Matronen zwängen sich durch das Gedränge;
erstickt soll ich verrotten in der Enge,
wo sich Rivalen stolz bei Rot verachten.
Doch wart – wer zwingt mich eigentlich zum Stehen?
Seit wann bin ich nicht Ich, mein eigner Herr?
Gehorcht ein Mann der Zeit und ihren Dieben,
dann kann er warten, kann er Däumchen drehen.
Drum auf! Befrei dich stracks aus dem Gezerr!
Schreit jemand Stopp? Schreit jemand Stehngeblieben?

                                                            Rolf-Peter Wille
                                                                    (2009)
      

Ernst Ludwig Kirchner: Straßenszene, 1925


Anmerkung: aus meinem Rhetorikum Grüne Figur bei Rot. Mein Sonett ist eine Variation des Satzes "Ich trug ein grünes Hemd und ging bei Rot über die Straße".