Mittwoch, 9. Oktober 2019

Adieu, mein lieber Drachen!




        Adieu, mein lieber Drachen!


Kühn flatterst du im Wind, mein Drachen,
denn frische Lüftchen hast du gerne.
Gewiss, es zieht dich in die Ferne,
doch deine Schnur werd’ ich bewachen!

Von hinten naht ein böses Keuchen.
Der blöde Köter! Will er’s wagen?
Den werd’ ich gleich von hinnen jagen,
galant mit einem Tritt verscheuchen.

Herrjemine! Er ist von hinnen!
Der Hund zwar nicht, jedoch mein Drachen.
Wie konnte mir die Schnur entrinnen?

Hoch oben, in des Baumes Krone,
da zappelt er; ich hör ihn lachen:
“Adieu, mein Schatz. Nimm dir 'ne Drohne!”

                         
                                           Rolf-Peter Wille
                                     (2016, sonettiert 2019)



Paul Paeschke: Drachensteigen in Berlin 



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Wie lustig flattert
mein Drachen
im Baum!
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Der arme Poet



                          Der arme Poet


Noch immer reimt sein Geist auf spitzen Wegen
und stolpert über Steine beim Skandieren.
Sich steil auf den Parnass zu poesieren,
schützt ihn sein dünner Schirm vor Blitz und Regen.

Auf in die Schlacht! Die Feder sei der Degen!
Die klemmt im Dichtermaul; beim Deklamieren
benagen sie die Kauer und es stieren
durchs Augenglass die Seher, seine schrägen.

So dichte fort, mein edler Barde,
in deiner elenden Mansarde
und ewig träume du auf der Matratze!

Durch Tränen starre ich auf seine Fratze,
bestaune seine Hand: — Ach so!
Der Kerl zerdrückt sich einen Floh…


                                                                     Rolf-Peter Wille

                                                                              (2022) 




Carl Spitzweg: Der arme Poet, 1839






Auf Schlangenpfaden





              Auf Schlangenpfaden


Wer weiß, wohin mich meine Füße tragen
durch finstres Dickicht, ach, auf Schlangenpfaden?
Ein Stich! Schon beißt der Wurm in meine Waden!
Ein Egel gar? Ein Floh! Wer mag es sagen?

Vergiss nun deine Sorgen, lass das Klagen!
Die Sonne bricht hervor aus Nebelschwaden.
Durch Auen wandre ich ins Tal; es laden
mich Burgen, die aus blauer Ferne ragen.

Umrieselt leis vom Bach, umsummt von Bienen,
so soll ich sanft in Wonnehainen ruhen.
Willkommen, o ihr Schlösser ach, Ruinen!

Schon weicht die Sonne dem Gewitterregen.
Bald werd ich schlittern, ach, auf Schneckenwegen,
und spitzig knirscht es unter meinen Schuhen.



                                                       Rolf-PeterWille
                                                              (2019)


Caspar David Friedrich:
Felsenlandschaft im Elbsandsteingebirge, 1822 



Dienstag, 8. Oktober 2019

Die Bambushütte (Sonette aus dem Dickicht)

                   

                      Die Bambushütte

                (Sonette aus dem Dickicht)



                      1. Das ferne Schloss

Gebaut aus Sprache, die im Mauerwerk
verkeilter Wörter mörtellos geschichtet,
ragt seine Rede wuchtig aufgerichtet
wie alter Götter Burg auf rauhem Berg.

Es hat – sagt man – ein kalter, grauer Zwerg
sich tief in jenes Schloss hineingedichtet.
Jetzt liegt's in Wolken, nimmermehr gesichtet.
Werd ich es wiedersehn, das Zauberwerk?

Längst bin ich schon in fremdes Land gezogen
und züchte mir aus Lotos Ziersonette.
Soll ich von Schlössern, fernen Göttern singen?

Im Dickicht will mir Besseres gelingen!
Gar weich ist hier der Jambenvers gebogen
und wispert sich um meine Bambushütte.




                       2. Die Jambennatter

Was wispert aus dem Dickicht mir der Jambus,
dem ich nur lauschen darf, indem ich dichte
und seinen Reim verspinne und Gesichte
von ferner Geisterburg zu feinem Bambus?

Wo steckt der Wicht, der meinen Schlaf zerflüstert,
der meinen Sinn beleckt bei lichtem Tage?
Hinein, ins Dickicht, dass ich ihn erjage!
Schon hör ich, wie er im Gehölze knistert.

Schon schimmert's grünlich aus den Bambusschlingen.
Es säuselt süß. Es glitzert mir ein Licht.
Jetzt hab ich dich! Jetzt soll es mir gelingen!

Nichts! – warum lockte mich ihr Singen?
Die Jambennatter neckt mich Wicht.
Sie trägt mein eigenes Gesicht.




                 3. Taifun im Bambuswald

Schau, wie im Sturm die feisten Stauden schwanken 
und knetern wie die Planken fauler Schiffe,
die, wenn sie scheitern am Gestein der Riffe,
sich im Zerreiben zeternd noch zerzanken!

Hör, wie im Schauerwald die Stäbe knattern,
wenn der gewaltige Orkan sie schindet,
der sich, ein Dämon, durch das Dickicht windet
und scheuchet Menschen, Würmer, giftge Nattern.

Wohin will meine flinke Hütte fliegen?
Schon flattert sie als Fledermaus durchs Land.
Kein Wirbelwind kann ihren Spuk besiegen!

Und ich als Parasit, leicht und galant,
ich fliege mit, als würde ich nichts wiegen,
ein blinder Passagier – doch nicht verschwiegen.




                   4. Verwüstung


Wie soll ich die Verwüstung schildern?
Morast, Gerippe und Gerölle,
vom Sturm gespieen wie Gewölle!
Mal' ich den Graus in grellen Bildern?

Wie grässlich, in den Matsch zu fallen!
Wo sich nur Gräuel offenbart,
zeugt Chaos, zart mit Kitsch gepaart,
Chimären, die in Zungen lallen.

Erlaube, dass ich leiser singe,
wie Schatten nur; ich will ihn schonen,
dass mein Gesang wie Nichts erklinge.

So wird mein Singen mich belohnen,
entsterbend diesem Reich der Dinge,
um stummer im Sonett zu wohnen.


                                                 Rolf-Peter Wille
                                                        (2020)





“Chimären”: hier chinesische Grabhüter (鎮墓獸)







Bei einer Dante Lesung






                 Bei einer Dante Lesung
                    
                      (der Lesekreis durchläuft die Hellen)


Doch gilt’s, zunächst die Hellen zu durchlaufen.
Ich sag’s fein altdeutsch, ohne Gleisnerei:
Geheul füllt die Spelunck und Klapperei
der Zähne, Schandgetriller, kein Verschnaufen.

Hoch bläht sich’s auf, pechschwarz und kreuzesspinnig;
die Augen quellen giftig auf und glotzen.
Verderblich ist’s, dem borst’gen Vieh zu trotzen.
Und Flammen lodern wild und wirbelsinnig.

Wer will die heiße Qual in Worte fassen?
Stets härter brennt die Seel’ im Fegefeuer.
Allmählich schwinden sie, die Ungeheuer,
und leichter wandelt man auf den Terrassen.

Geläuterte, mit Freud’ in’s Jubilæum!
Oh himmlische Beatrix! Empyréum!


                                                             Rolf-Peter Wille
                                                                                              (2012)

     
      



Anmerkung: für den Lesekreis meiner Mutter; Anspielungen auf Dante, Thomas Mann und Gotthelf.


Bei unsern Adolf wär das nich passiert!




  Bei unsern Adolf wär das nich passiert!
                          (eine Parodie)

Was läuftn bloß für lächerliche Typen
hier rum mit grünes Zeuch und graue Haaren!
Man sollte die verhaften! Die Polypen
sind auch nich mehr, was die mal früher waren!
Na ja…, das ham wer uns doch gleich jedacht:
Die Ampel rot – der Lump latscht einfach weiter.
Wenn jetz ‘n Auto kommt, dann hats jekracht,
dann liegter da, na das wär wirklich heiter!
So sind se alle jetz bei uns ins Lande:
Die randaliern und hörn sich blöde Schlarer.
Was sollste machen mit die ganze Bande?
Warum steckt man die nicht im Arbeitslarer?
Dies Trottelvolk! Die hames nie kapiert:
Bei unsern Adolf wär das nich passiert!

                                               Rolf-Peter Wille 
                                                      (2009)

        




                   Anmerkung: aus meinem Rhetorikum Grüne Figur bei Rot. Mein Sonett ist eine Variation des Satzes "Ich trug ein grünes Hemd und ging bei Rot über die Straße" und ein Beispiel für abgenutzte Redensart, Jargon, Plattitüde, falsche Grammatik, etc.










Bleib hübsch bescheiden, mein Alter!



            Bleib hübsch bescheiden, mein Alter!

Du trägst dein Hemd in Grün? Du springst so frisch und heiter,
gar wie ein junger Hund? Ach geh, du bist ja alt!
Dein Rücken ist gekrümmt, dein Frühling harsch und kalt;
verstohlen blüht er noch, doch ist’s ja nur dein zweiter.
Du galoppierst bei Rot – ein Ross und ohne Reiter?
Du find’st das toll und gut? Ja wart, da liegst du bald
in deinem eignen Blut! Wenn’s auf der Straße knallt,
dann geht das Leben aus, – kaputt, vorbei, nicht weiter.
Drum fass dich in Geduld. Drum bleib nur hübsch bescheiden;
fällt uns dein Alter auf, gefällst du, Alter, nicht.
Sing Alexandr’en nicht, die klingen wie Geleier.
Red nie zu alt und klug; erspar uns dein Geseier.
Geh brav in dunklem Wams, geh nur bei grünem Licht.
So bist du lieb, mein Freund, so mögen wir dich leiden!

                                                                         Rolf-Peter Wille
                                                                               (2009)

                                
   
                
                  Andreas Gryphius






















Anmerkung: aus meinem Rhetorikum Grüne Figur bei Rot; dies ist ein "barockes" Sonett in Alexandrinern und parodiert den "antithetischen Aufbau" im Sonett-Stil von Martin Opitz oder Andreas Gryphius. Das Sonett ist außerdem eine Variation des Satzes "Ich trug ein grünes Hemd und ging bei Rot über die Straße".